Die Zunge – Spiegel der Sprache (Fortsetzung)

Letzte Woche sprach ich über die Zunge und über die Wichtigkeit, sich über die einzelnen Positionen klar zu sein. Heute möchte ich einen Schritt weitergehen und über die erweiterte Rolle der Zunge zu sprechen.

Wie jeder weiß, ist die Zunge am Zungenbein festgewachsen, welches wiederum mit dem Kehlkopf verbunden ist. Diese Symbiose bietet die Möglichkeit zu vielen gegenseitigen Einflußnahmen im positiven und (leider häufiger) im negativen Sinne.
Durch das Bemühen, dem Steigen der Kehle beim Singen in der Höhe entgegenzuwirken, beobachtet man oft interessante Konzepte, die zwar manchmal funktionieren – im Sinne eines Erreichen des Tones – die jedoch zumeist mit einer Verstellung und Verzerrung des Klanges führen. (Mit Klang meine ich sowohl Vokalfarbe als auch Timbre und Resonanz.)
Das häufigste Phänomen ist das Zurückziehen der Zunge, beim Versuch im Rachen “Raum” für den Ton zu machen. Das Resulrat ist ein dumpfer, abgedunkelter Ton. Dabei zieht sich die Zunge auch gerne zu einem “Klumpen” zusammen, der quasi frei im Mund schwebt.
Ein weiteres “Konzept” ist es mit der Zunge und dem Zungengrund Druck auf den Kehlkopf auszuüben und ihn so nach unten zu drücken, bzw. ihn unten zu halten. Hier beobachtet man zwei typische Zungenpositionen: den “Löffel” – eine flache Zunge in konkaver Form, also in der Mitte der Länge nach abgesenkt mit angehobenen Rändern – und das “Hörnchen” (ein besserer Name fällt mir dazu nicht ein) – eine Zunge komplett nach hinten hochgebogen wird und dreieckig im Mundraum steht. (Die Zungenspitze weist dabei sogar manchmal Richtung Gaumen-Zäpfchen!)
Speziell die zweite Position lässt sich gelegentlich sogar bei namhaften professionellen Sängern beobachten und scheint, bei entsprechenden Gegenverstellungen auch zu einem befriedigenden Ergebnis für diese Kollegen führen. Optisch und klanglich ist diese Technik allerdings fraglich.
Die besten Techniker unter den Sängern propagieren eine entspannte Zunge in Annährung an die Sprechpositionen.

Ein häufig vorkommendes Mißverständnis entsteht beim Anfänger und Lernenden dadurch, daß beim Singen ein (im Vergleich zum Sprechen) verändertes Resonator-Konzept vorherrscht. Das heißt: Wir verändern unseren Ansatz- und Resonanzraum zugunsten der günstigeren Obertöne. Diese Räume zu bilden ist für die meisten ungewohnt und sozusagen unbekanntes Terrain. Deshalb verlassen viele auch die vom Sprechen antrainierten Zungenpositionen.
Wie wie letzte Woche festgestellt haben, ist vornehmlich die Zunge zuständig für die Bildung der Vokale und kann sich weitgehend autonom vom Kiefer bewegen. (vgl. Video)
Da wir beim Singen in höherer Lage etwas mehr Öffnung brauchen muss auch der Kiefer ggf. etwas mehr geöffnet werden. Damit man trotzdem noch den gewünschten Klang/ Vokal erhält, muss sich die Zunge an die Stelle begeben, an der die für die Formanten entscheidende Reflexion gegeben ist (s. Die Zunge – Teil 1).
Im Beispielsfall “I” würde dies folgendes bedeuten: (s.Abbildung)

 

ZungenpositionenI-SprechZungenpositionen I-Singposition

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Man sieht, daß die Zunge in der Sprechposition aufgrund des näheren Ober-Unterkieferabstandes insgesamt etwas flacher ist, als beim Singen. Entscheidend für den Vokal ist der Abstand zwischen Zunge und Gaumen. Man sollte sich also darauf einstellen, daß man beim Singen keine faule Zunge hat, die nur den Abstand einnimmt, den sie vom Sprechen antrainiert hat. Das Ergebnis ist a) ein verfälschter Vokal und b) die falschen Formanten, die einefreies Schwingen der Stimme verhindern oder zumindest einschränken.

Auch hier ist der Spiegel wieder ein unerlässliches Hilfsmittel um sich selbst zu korrigieren. Im Allgemeinen kann man sagen, wenn die Zunge die Zahnreihe ekklatant verlässt ist etwas Korrekturarbeit angebracht. Es lohnt sich auf jeden Fall.

Fortsetzung folgt

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