Die Zunge – Spiegel der Sprache

Als erstes Thema für einen Beitrag zu meinem Gesangs-Blog habe ich mir gleich ein heiss diskutiertes ausgesucht: Die Zunge.

Oftmals heißt es bei Gesangspädagogen: “Nur nicht zuviel über die Zunge sprechen. Das schafft mehr Verwirrung, als es hilft.” Das habe ich früher auch immer beherzigt, bis ich durch eigene Studien dazu gekommen bin, mich mit dem Organ und seiner Funktionsweise näher zu beschäftigen.
Auslöser war dabei ein Video von Mario del Monaco als Don Jose (live im Bolshoi), das ich mir seinerzeit noch auf VHS gekauft hatte. Ich war während meines Studiums immer schon ein Freund von del Monaco und so war ich mehr als froh, ihn auch einmal beim Singen sehen zu können. (In Zeiten von Youtube kaum noch vorstellbar…!)
Ich war mir sicher, einen schwer arbeitenden Heldentenor zu Gesicht zu bekommen und war erstaunt, wie mühelos und entspannt er beim singen war. Und vor allem mit welch weiter Mundöffnung er noch ein klares “Squillo”-I singen konnte. Da begann mein Interesse an den Vokalen und ihren Gegebenheiten.

Heute bin ich der Überzeugung, daß eine Auseinandersetzung vor allem mit den Zungenpositionen unumgänglich ist, wenn man seinen Gesang zu einer hohen Verlässlichkeit bringen will.

Die Hauptfunktion der Zunge ist für uns Sänger die Bildung der Vokale und Konsonanten. Bei den Vokalen haben wir die drei Hauptvokale “A/E/I” (offen und geschlossen) und deren Derivate “O/U”.
Es ist wichtig sich klar zu machen, daß die drei Hauptvokale beinahe ausschließlich durch die Zunge gebildet werden und dies in einer hohen Unabhängigkeit zum Kiefer und zur Mundstellung. Ein weit verbreiteter Irrglaube ist es beispielsweise, daß der Vokal “I” durch eine stark laterale, enge Mundposition in Kombination mit beinahe geschlossenen Lippen gebildet wird. Dies mag beim Sprechen der Fall sein, da wir beim Sprechen sowieso keine nennenswerte Mundöffnung benutzen. Doch beim Singen, wo man je nach Tonhöhe die Ansatzräume anpassen muss, kommt man mit diesem Konzept nicht weit.
Wirklich entscheidend für die Vokale ist nur die Zungenstellung (bei manchen Vokalen noch die korrespondierende Lippenform- z.Bsp. “O/Ö/Ü)
Von entscheidendem Augenmerk sind dabei die Abstände von Zunge zu Gaumen.  Entscheidend für del Monacos tolles “I” war also nicht die Kieferöffnung sondern der Abstand der Zunge zum Gaumen. Das heißt, er hat gelernt bei der extremen Kieferöffnung die Zunge so hoch zu positionieren, wie sie beim Sprechen mit beinahe geschlossenem Mund liegen würde und konnte somit die für ihn vorteilhafte weite Mundhaltung mit den korrekten Formanten für ein enges “I” kombinieren.

Man kann durch Spielen mit Zungenpositionen viele interessante Dinge erreichen. Entscheidend ist, daß man es bewusst und ohne Kraftaufwand tut. Da kommt das Bild aus der Überschrift zum tragen: Die Zunge, der Spiegel der Sprache.
Jeder hat wahrscheinlich schon einmal als Kind mit einem Taschenspiegel oder mit der Armbanduhr eine Sonnenreflexion an der Wand spazieren lassen. Man stelle sich nun vor, die Zunge sei der Spiegel und der Gaumen die Wand. Nur daß man nicht “Licht reflektiert”, sondern “Schallwellen aufprallen lässt”. Je nach Aufprallort der Schallwelle erhält man einen anderen Vokal (oder einen stimmhaften Konsonanten).

Man würde bei dem “Lichtfleck” wahrscheinlich nicht auf die Idee kommen irgendwelche Hilfsspannungen oder Körperhaltungen einzunehmen, um ihn an der Wand zu seinem Ziel zu bewegen. Analog verbietet sich das auch mit der Zunge. Man muss nur wissen (oder empirisch herausfinden), welche Zungenpositionen es gibt und diese dann nur noch den Anforderungen durch die Register anpassen.

Hier eine Darstellung der verschiedenen Zungen-Positionen.

Zungenpositionen Kopie

Ein paar leichte aber wichtige Übungen dazu findet ihr im Video.

Gesangsübungen-Zunge

Zur Rolle der Zunge bei der Registrierung schreibe ich beim nächsten Eintrag.

Hinterlasse eine Antwort